Urheber: Magdeburger Volksstimme
Seit 1993 hilft die LIFE Jugendhilfe Kindern und Jugendlichen ihren Weg im Leben zu finden. Dabei ist die Arbeit mit Tieren in der Natur ein fester Bestandteil des Betreuungskonzeptes der LIFE Jugendhilfe. Die Chance auf ein normales Leben
1993 gründet Gerd Lichtenberger im kleinen Altmark-Örtchen Mieste eine der ersten Projektstellen der LIFE Jugendhilfe. Weitab vom Lärm der Städte macht es sich der Bochumer zur Aufgabe, stark verhaltensauffällige und traumatisierte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene individuell und pädagogisch zu betreuen. Heute, mehr als 30 Jahre danach, ist das soziale Unternehmen über ganz Deutschland – und hat so manches Schicksal positiv beeinflusst.
Die 14-jährige Leonie kommt nicht mehr weg von der schiefen Bahn. Sie ist unbequem, aufsässig, für die meisten Menschen viel zu anstrengend. In Ungarn beginnt für sie eine neue Zeitrechnung. Die Uhren werden auf null gestellt. Leonie macht eine Internet-Schulung, absolviert die Realschule, wird später zur Kosmetikerin ausgebildet. Der letzte Strohhalm, er rettet das Mädchen. So ähnlich ist es bei Luca. Auch der Bochumer greift danach, als er „nach ein paar dummen Sachen“ vom rechten Weg abkommt. Er macht in der Ukraine seine Internet-Schulung, beginnt in Solpke nahe Gardelegen eine Lehre im Straßenbau und möchte gern weiter dort arbeiten.
Helfen, wenn es keinen Ausweg mehr gibt
Die beiden Geschichten stehen dafür, um was es der LIFE Jugendhilfe geht. „Wir helfen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, für die es keinen anderen Ausweg mehr gibt“, sagt Geschäftsführerin Laura Doczekalski. Wer zur LIFE Jugendhilfe kommt, hat zumeist
PROJEKSTELLEN
hat die LIFE Jugendhilfe derzeit im In- und Ausland, allein 13 da von in Sachsen-Anhalt schon viele Jugendhilfeunterbringungen hinter sich, noch nie eine echte Bindung aufgebaut, weder ein stabiles Elternhaus noch einen Alltag kennengelernt. Die meisten sind traumatisiert, einige von Missbrauch geprägt. Die jungen Menschen haben oft bereits Tragisches erlebt. Viele wurden von Heim zu Heim gereicht, haben Psychiatrieauf- enthalte oder Haftstrafen hinter sich, Verwahrlosung erlebt oder kämpfen mit Suchtproblemen. Viele werden vom Umfeld als „Systemsprenger“ abgestempelt. „Wir geben ihnen die Chance, irgendwann ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben führen zu können“, erklärt Laura Doczekalski.
Gründungsgeschichte beginnt in der Altmark
Die Geschichte der LIFE Jugendhilfe beginnt 1993 in der Altmark. Gerd Lichtenberger kommt aus Bochum in den sachsen anhaltischen Norden, blickt in die Weite, hört die Stille. Im Miester Ortsteil Himmelreich findet er ein von Grün umsäumten Bauernhof – und damit den richtigen Ort für das soziale Unternehmen, das er gründen möchte. Der ehemalige Heimleiter will dort anfangen, wo andere aufhören, wenn es um verhaltensauffällige und traumatisierte jungen Menschen geht. Die Menschen, die kurz davor stehen, für immer die Möglichkeit zu verlieren, ein geregeltes Leben in der Gesell- schaft zu führen.
Betreuer werden immer gesucht
Das ist der Anfang. Vieles hat sich inzwischen verändert. Die Ziele des Familienbetriebes LIFE sind bis heute gleich geblieben. Die Zielgruppe jedoch ist größer geworden – wie das Unternehmen. Mehr als 955 Jugendhilfemaßnahmen hat die Jugendhilfe bis heute in Deutschland, Polen, Ungarn und Frankreich umgesetzt. Zurzeit laufen mehr als 40 Projektstellen, allein 15 davon befinden sich Sachsen-Anhalt. Hinter jeder Projektstelle stecken junge Menschen und Schicksale, die sich miteinander verbinden. Im Kern geht es bei der LIFE Jugendhilfe um die individuelle pädagogische Betreuung in einem familiären Umfeld. Es sind die Jugendämter, die auf das weit verzweigte Unternehmen zukommen und eine individualpädagogische Maßnahme suchen. Es gibt viele Gründe, warum Kinder, Jugendliche und junge Menschen auffällig werden oder die Schule verweigern. „Jeder bringt sein eigenes Gepäck mit“, weiß Laura Doczekalski. Um das zu schultern, braucht die LIFE Jugendhilfe als Projektträger Menschen mit einer pädagogischen Ausbildung, die bereit sind, Kinder, Jugendliche und junge Menschen aufzunehmen, ihnen ein neues Leben zu bieten und „ihre positiven Ressourcen freizulegen“. Die Geschäftsführerin weiß, dass der Glaube daran, die Grundsäule dafür ist, sich für eine 1:1- Betreuung zu entscheiden. Sie weiß auch, dass man mit „vollem Herzen dabei sein muss“, um den jungen Menschen ein Zuhause zu bieten, Herausforderungen anzunehmen und auszuhalten, dass „oft auch Grenzen ausgetestet werden“. „Auf der anderen Seite“, sagt Laura Doczekalski, „kann man auch viel zu- rückbekommen“.
Niemand wird allein gelassen
Die LIFE Jugendhilfe wächst, sucht Betreuer, die ihrerseits als pädagogische Fachkraft, wie Erzieher, Sozialpädagoge oder Sozialarbeiter, eine neue berufliche Herausforderung suchen. Bei der Vermittlung wird nichts dem Zufall überlassen. „Es muss alles passen“, sagt Laura Doczekalski. Wird ein Kind, Jugendlicher oder junger Mensch in einer Familie aufgenommen, entsteht damit eine neue Projektstelle, die von der LIFE Jugendhilfe als Träger unterstützt wird. Alleingelassen wird niemand. Bei Problemen, besonderen Herausforderungen, in Notfällen und auch „einfach nur mal so“ steht das Team von LIFE den Menschen zur Seite, deren Berufung die Hilfe geworden ist. Laura Doczekalski: „Wir sind 24/7 für die Betreuer da, sind immer in Rufbereitschaft.“ Unterstützung komme zu dem von einem Team aus Psychiatern, Therapeuten und Pädagogen.
Lernen, dass es Menschen gibt, die interessiert sind
Zurück zu den Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen. Warum hilft es ihnen, so individuell betreut zu werden? „Sie werden häufig in Erziehungseinrichtungen wie Heimen betreut“, weiß die LIFE-Chefin. „Das funktioniert allerdings nicht für jeden. Allein, weil oft Traumata verhindern, sich in eine Gruppe einzufügen. Wer das nicht schafft, gilt pädagogisch betrachtet als nicht mehr erreichbar.“ Mit Gerd Lichtenberger begann das, was heute der Schlüssel bei der LIFE Jugendhilfe ist. Er wollte mit einem völlig neuen Betreuungsansatz helfen, das Leben neu zu strukturieren. Laura Doczekalski erklärt: „Die 1:1- Betreuung ermöglicht einen gegenwartsbezogenen und unvoreingenommenen Kontakt mit einem Erwachsenen, der seinen Schützling so aufnimmt, wie er ist. Die jungen Menschen sollen so lernen, dass ihr Wort und ihr Wille zählen. Dass es Menschen gibt, die an ihrer Person interessiert sind.“ Die besondere Hilfe in Form der Einzelbetreuung ermögliche es, wieder zu sich selbst zu finden oft auch durch die räumliche Distanz durch den Wechsel in ein anderes Bundes- land. Das neue Zuhause, so die LIFE-Chefin, setzt voraus, dass sich bei den Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen neue Verhaltensmuster entwickeln. In manchen Fällen sei es sogar das Beste, den Weg in andere Länder zu suchen. Denn:
„Wer in neue Kulturen, andere Sprachen und eine komplett neue Umgebung eintaucht, muss sich völlig neu ordnen.“
Zuerst wenig Gegenliebe für das Projekt
Letztlich fußt die Individualbe- treuung immer auf dem Prinzip Neuanfang, basiere auf Vertrauensaufbau. „Von allem Negativen, was es bisher im Leben gab, abgeschnitten zu sein, fördert das Umdenken“, so Laura Doczekalski. Besonders geeignet dafür sind ländliche Umgebungen – ohne Reize, Ablenkungen oder der Möglichkeit, schnell zu verschwinden. Dafür mit viel Natur und oft auch mit Tieren, um die
PROZENT
Erfolgsquote: Hinter den Prozentzahlen stecken zahlreiche Kinder und Jugendliche, die in die Gesellschaft integriert werden konnten.
sich die Kinder, Jugendlichen und jungen Menschen kümmern können. Nicht umsonst hat Gerd Lichtenberger damals Mieste als Standort favorisiert, auch, wenn ihm damals harter Gegenwind ins Gesicht blies. Als die erste Projektstelle im Ortsteil Himmelreich eröffnet wurde, stieß die Aussicht, künftig schwer erziehbare junge Menschen in der Nachbarschaft zu haben, auf wenig Gegenliebe.
In drei Jahrzehnten hat sich jedoch viel getan. Die LIFE Jugendhilfe ist größer geworden. Ihre spezielle pädagogische Arbeit erfahre in der Gesellschaft eine höhere Wertschätzung, so Laura Doczekalski. Auf dem Gelände des einstigen alten Bauernhofes in der Altmark ist ein Schulungszentrum für Mitarbeiter und Quereinsteiger entstan- den. Das pädagogische und therapeutische Konzept wurde mit der Reittherapie fortgeschrieben. Mit den vierbeinigen „Therapeuten“ sollen die Kinder, Jugendlichen und junge Menschen nicht zwingend das Reiten lernen, sondern vielmehr einen partnerschaftlichen Umgang mit den Tieren pflegen, einfach dort abgeholt werden, wo sie gerade stehen“, so Laura Doczekalski.
Auch, wenn es zunächst nur darum gehe, sich dem Pferd anzunähern, es zu streicheln oder zu versorgen.
Ein neuer Meilenstein ist hier schon in Sicht: Läuft alles nach Plan, könnte im Ortsteil Himmelreich 2025 eine stationäre Wohngruppe mit sieben Plätzen für Kinder zwischen 6 und 10 Jahren eröffnen. Und sonst? Soll es immer weiter gehen, sagt die Geschäftsführerin. „Wir möchten weiter noch vielen jungen Menschen helfen – und auch in Sachsen-Anhalt noch weitere Projektstellen einrichten. Darum freuen wir uns über jeden, der uns dabei unterstützen möchte.“ So wie Julia R., eine Erzieherin aus Barleben, die Ende des vergangenen Jahres ein 5-jähriges Mädchen aufgenommen hat. Mit der neuen Projektstelle in der Nähe von Magdeburg ist die LIFE-Familie wieder ein Stück größer geworden.